DOI: 10.26481/mup.rep.alter.2501.de
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© 2025 AlteR | Maastricht University
Description
Jedes Bildungssystem bewertet die Fortschritte seiner Schüler im Laufe des Schuljahres und wendet eine Reihe von Strategien an, um Schülern mit Schwierigkeiten zu helfen, damit sie angemessene Fortschritte machen können. In vielen Ländern ist die Wiederholung einer Klasse eine Option für Schüler, die trotz aller Bemühungen keine ausreichenden Fortschritte erzielen. Der Wert und die Wirksamkeit der Klassenwiederholung sind jedoch zumindest umstritten. Es gibt zahlreiche Untersuchungen zu den Auswirkungen der Klassenwiederholung, und die meisten Ergebnisse sprechen gegen diese Praxis. Dennoch werden weltweit viele Schüler zurückgestellt, wobei die Häufigkeit in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist.
Dieser Bericht konzentriert sich auf die gesetzliche Vorgaben und Praxis, die im Jahr 2023 in den 37 nationalen Einheiten des Eurydice-Netzes (einschließlich der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der 10 assoziierten Staaten) in Bezug auf die Klassenwiederholung in der Pflichtschule gelten. Vier verschiedene Datenquellen wurden genutzt, um einen Einblick in diese Vorgaben und Praxis zu erhalten: die Website von Eurydice, Informationen die durch Fragebögen an Bildungs(rechts)experten gesammelt wurden, Informationen die von offiziellen Regierungswebsites stammen, und Informationen die durch die Schülerbefragung im Rahmen der PISA-Studien von 2018 und 2022 (OECD 2020, 2023) gesammelt wurden.
Einige interessante Gemeinsamkeiten zeigten sich in den gesetzliche Vorgaben zur Klassenwiederholung in den 37 nationalen Einheiten des Eurydice-Netzwerks. In allen 37 untersuchten Ländern geht die Klassenwiederholung mit einer Fülle von alternativen Unterstützungsmechanismen einher, die Schülern mit Schwierigkeiten zum Erfolg verhelfen sollen. Diese Mechanismen können von zusätzlichen Nachhilfestunden über spezielle Programme bis hin zu stärker personalisierten Lernplänen reichen.
Allerdings gibt es auch bemerkenswerte Unterschiede zwischen den 37 nationalen Einheiten des Eurydice-Netzes, was die gesetzliche Vorgaben zum Klassenwiederholung angeht. Insbesondere die Kriterien, die den Klassenwiederholung auslösen, und die entsprechenden Entscheidungsprozesse sind so unterschiedlich wie die Länder selbst. Das wichtigste gesetzliche Kriterium, das darüber entscheidet, ob ein Schüler eine Klasse wiederholen muss, ist immer ein Mangel an akademischer Leistung, der sich entweder in niedrigen standardisierten Testergebnissen oder in niedrigen Gesamtbeurteilungsergebnissen zeigt. In einigen Ländern sind jedoch auch Kriterien wie Verhaltensauffälligkeiten, Schulabsentismus, allgemeine Entwicklungsschwierigkeiten oder persönliche Umstände in der Gesetzgebung verankert. Darüber hinaus führen in vielen Ländern schlechte Noten am Ende des Schuljahres laut Gesetz nicht immer zu einer Klassenwiederholung. So können Lehrkräfte unter bestimmten Umständen Schülern die Wiederholung von Tests gestatten, ihnen zusätzliche Arbeit anbieten, um den Rückstand aufzuholen, oder ihnen das (bedingte) Vorrücken erlauben. Der Entscheidungsprozess für den Klassenwiederholung ist in den 37 nationalen Einheiten des Eurydice-Netzes ebenfalls sehr unterschiedlich. In den meisten Ländern ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass die Entscheidung über die Zurückstellung eines Schülers von dem/den Klassenlehrer(n) getroffen wird. In einigen Ländern ist die Mitwirkung weiterer Lehrkräfte oder der Schulverwaltung erforderlich. In einigen wenigen Ländern ist die Beteiligung von Bildungsspezialisten (z. B. Bildungsbehörden, Schulpsychologen oder Beratungsdienste) erforderlich. In allen Ländern sollten die Eltern oder Erziehungsberechtigten regelmäßig über die Entwicklung ihrer Kinder informiert werden. In den meisten Ländern sollten die Eltern in irgendeiner Form einbezogen werden, wenn die Entwicklung ihres Kindes in Frage steht. Nur wenige Länder verlangen die Zustimmung der Eltern, wenn ihr Kind zurückgestellt werden soll. Darüber hinaus ist in einigen Ländern gesetzlich vorgeschrieben, dass der Entscheidungsprozess in hohem Maße auf Zusammenarbeit beruht und die Erkenntnisse von Pädagogen, Verwaltungsangestellten, Eltern und gelegentlich auch von Schülern selbst einbezieht. In anderen Ländern wird die Entscheidung über den Verbleib in der Klasse laut Gesetz von speziellen Bildungsgremien oder -räten getroffen, die einen eher ‘topdown’ Ansatz verfolgen.
Es gibt auch erhebliche Unterschiede zwischen den 37 nationalen Einheiten des Eurydice-Netzes in Klassenwiederholungshäufigkeiten. In Belgien, den Niederlanden, Spanien, Deutschland, Portugal und Österreich sind die Wiederholungsrate offenbar besonders hoch: 16% bis 27% der 15-jährigen Schüler geben an, dass sie mindestens einmal sitzen geblieben sind. In Montenegro, Litauen, Serbien, der Türkei, Island und Kroatien liegt die Wiederholungsrate dagegen unter 2%, wie von den 15-jährigen Schülern angegeben. In den Niederlanden stieg die kumulative Wiederholungsrate (im Alter von 15 Jahren) zwischen 2018 und 2022 um 6%, während sie in Portugal, Spanien, der Türkei, Frankreich, Italien, Belgien und der Schweiz um 4% bis 9% zurückging.
Angesichts der unterschiedlichen gesetzliche Vorgaben und Häufigkeiten für den Klassenwiederholung in den 37 nationalen Einheiten des Eurydice-Netzes stellt sich die wichtige Frage, ob die gesetzliche Vorgaben und Häufigkeiten miteinander verknüpft sind. Ein detaillierter Blick auf alle in diesem Bericht gesammelten Informationen zeigt dass es keine einfache Antwort auf diese Frage gibt. Betrachtet man die 37 untersuchten nationalen Einheiten, so zeigt sich, dass Länder mit vergleichbaren gesetzliche Vorgaben unterschiedliche Häufigkeiten für den Klassenwiederholung aufweisen. In der Grundschulbildung beispielsweise können gesetzliche Vorgaben, die den Klassenwiederholung (wenn auch mit einigen Einschränkungen) ermöglichen, in der Praxis zu Häufigkeiten zwischen 0% und 16% führen. Wenn der Klassenwiederholung gesetzlich als Ausnahmemaßnahme vorgesehen ist, liegen die Häufigkeiten zwischen 1% und 14%. Zahlreiche Faktoren könnten zu diesen Unterschieden beitragen, darunter die Infrastruktur des jeweiligen Landes, die Dauer der Gesetzgebung, der Detaillierungsgrad der Gesetzgebung, potenzielle Diskrepanzen zwischen der täglichen Praxis und den gesetzlichen Vorgaben sowie kulturelle Einflüsse sowohl auf die Gesetzgebung als auch auf die Praxis der Klassenwiederholung. Bei näherer Betrachtung einiger Länder wird jedoch auch deutlich, dass gesetzliche Vorgaben und Häufigkeiten immer noch bis zu einem gewissen Grad miteinander verknüpft sind. So gibt es in Deutschland Bundesländer in denen die Klassenwiederholung möglich ist, und andere, in denen sie nicht möglich ist. Dementsprechend variieren auch die Klassenwiederholungshäufigkeiten. Sowohl in Frankreich als auch in Spanien wurde 2013 ein Gesetz verabschiedet, das die Klassenwiederholung zu einer außergewöhnlichen Maßnahme macht. In Frankreich sank die kumulative Klassenwiederholungshäufigkeit von 28% im Jahr 2012 auf 11% im Jahr 2022. In Spanien sank sie ebenfalls von 33% im Jahr 2012 auf 22% im Jahr 2022. Dieser Trend könnte ein Hinweis auf die Wirksamkeit solcher gesetzlichen Beschränkungen sein.
Publication details and metadata
Title
Klassenwiederholungen während der Pflichtschulzeit in Europa: Gesetzliche Vorgaben und Praxis
Original title
Grade retention during compulsory school education in Europe: Regulations and practices
Institution
Alternatives for Grade Retention – AlteR – Network funded by the European Commission
Authors
Fabian Meissner – Medical School Berlin (ROR)
Janneke Pepels (ORCID) – Maastricht University (ROR)
Joana Pipa (ORCID) – Ispa-Instituto Universitário (ROR)
Mieke Goos (ORCID) – School for Educational Sciences of UHasselt (ROR)
Barbara Belfi (ORCID) – Maastricht University (ROR)
Sérgio Gaitas (ORCID) – Ispa-Instituto Universitário (ROR)
Francisco Peixoto (ORCID) – Ispa-Instituto Universitário (ROR)
Florian Klapproth (ORCID) – Medical School Berlin (ROR)
DOI (digital version)
https://doi.org/10.26481/mup.rep.alter.2501.de
Copyright and licensing
© 2025 AlteR – CC BY-NC
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Access to this publication
Publication Type and Language
Report – German – Version 1
Publication date
6 March 2025
Subject
Keywords
Klassenwiederholung, Wiederholung der Klassenstufe, eine Klassenstufe wiederholen, Pflichtschulzeit, Schulpflicht, gesetzliche Vorgaben, Rechtsvorschriften, Klassenwiederholungshäufigkeiten, Eurydice, Europa
Related works (translations)
- Grade retention during compulsory school education in Europe: Regulations and practices
- Redoublement pendant la scolarité obligatoire en Europe – Réglementations et pratiques
Citation for this work
Meissner, F., Pepels, J., Pipa, J., Goos, M., Belfi, B., Gaitas, S., Peixoto, F., & Klapproth, F. (2025). Klassenwiederholungen während der Pflichtschulzeit in Europa: Gesetzliche Vorgaben und Praxis. Maastricht University Press. https://doi.org/10.26481/mup.rep.alter.2501.de